Aufnahmeeinrichtung für ukrainische Flüchtlinge in der Messe Leipzig

Ein konsequenterer Kurs in der Migrationspolitik – was bedeutet das für die Arbeit des DRK?

Intensive Debatten und zahlreiche Gesetzänderungen im Bereich Flucht und Migration prägten die letzte Legislaturperiode. Die neue Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD kündigt in ihrem Koalitionsvertrag an: „Deutschland schlägt einen anderen, konsequenteren Kurs in der Migrationspolitik ein“. Erste Maßnahmen wie Zurückweisungen an den deutschen Grenzen und die angekündigte Aussetzung von humanitären Aufnahmen aus dem Ausland verdeutlichen die angestrebte Ausrichtung. Welche Auswirkungen ergeben sich daraus für die Arbeit des DRK im Themenfeld? Wie können wir als Mitarbeitende unter diesen Bedingungen weiterhin qualitativ hochwertige Unterstützung leisten, die Interessen der Betroffenen vertreten und sie bestmöglich unterstützen?

Eine Neuausrichtung in der Migrationspolitik

Im Wahlkampf hatte Friedrich Merz (CDU) angekündigt, dass er als Bundeskanzler dauerhafte Grenzkontrollen und konsequente Zurückweisungen aller Versuche einer “illegalen Einreise” einführen werde. Direkt nach Amtsantritt forderte der neue Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) die Bundespolizei in einem Schreiben dazu auf, fortan Schutzsuchenden die Einreise zu verweigern, wenn sie aus einem als sicher eingestuften Drittstaat einreisen. Eine Woche später teilte das Innenministerium mit, dass die Zahl der Zurückweisungen um 45 Prozent gestiegen sei.

Der Innenminister bezeichnete am vergangenen Freitag im Bundestag Grenzkontrollen und Zurückweisungen als einen ersten Schritt hin zu mehr Ordnung in der Migrationspolitik. Die Stabilität des Landes sei gefährdet; Städte, Gemeinden und Landkreise in Deutschland seien am Limit. Geplante Schritte in der laufenden Legislaturperiode umfassen unter anderem die Rücknahme des “beschleunigten” Einbürgerungsverfahrens, die Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Geschützten und die Beendigung humanitärer Aufnahmeprogramme. Diese Maßnahmen sollen laut Bundesregierung zu weniger Spaltung und mehr gesellschaftlichem Frieden führen.

Rechtliche Bedenken und humanitäre Auswirkungen

Die aktuellen Entwicklungen werden vom DRK mit Sorgen und kritischer Aufmerksamkeit verfolgt. Einige der angekündigten Maßnahmen werfen Fragen im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit nationalem und europäischem Recht auf. Es mehreren sich die Stimmen von Experten, die die Kontrollen und Zurückweisungen an den Grenzen als rechtswidrig einordnen (Verfassungsblog, LTO). Die pauschal angeführte Überlastung der Städte, Gemeinden und Landkreise erscheint differenzierungsbedürftig: die Zahl der Asylanträge sinkt aktuell (Statista) und die Situation wird regional sehr unterschiedlich eingeschätzt (siehe Studie der Universität Hildesheim und Mediendienst Integration).

Besondere Bedenken bestehen hinsichtlich der geplanten Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten. Aus Sicht des DRK kann sich diese Maßnahme nachteilig auf Integrationsprozesse auswirken. Die Zahl der Betroffenen ist vergleichsweise gering (in 2024 wurden nur rund 12.000 Visa an Angehörige von subsidiär Schutzberechtigten erteilt, siehe Mediendienst Integration), die Folgen eines solchen Erteilungsstopps können im Einzelfall jedoch erheblich sein. Es sei eine "humanitäre Kernaufgabe", nach vermissten Menschen zu suchen und Familien zusammenzuführen, so DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt kürzlich gegenüber der Frankenpost. Eine Familienzusammenführung fördere das Wohlbefinden und die Integrationsbereitschaft der Menschen.

Die Folgen der verschärften Debatte sind bereits spürbar

Es bleibt abzuwarten, welche der angekündigten Maßnahmen langfristig umgesetzt werden. Aber die Auswirkungen der politischen und gesellschaftlichen Debatten und der Gesetzesänderungen der letzten Jahre sind für die Mitarbeitenden, die vor Ort mit Geflüchteten und Zugewanderten arbeiten, sowie bei den Betroffenen selbst deutlich spürbar. Ratsuchende in den Beratungsstellen fragen sich teilweise, ob beziehungsweise wie lange sie noch in Deutschland bleiben können. 

Auch unsere Träger stehen vielerorts vor großen Herausforderungen, da Mittel gekürzt werden, steigende Eigenmittel notwendig werden und Förderungen von großer Unsicherheit geprägt sind, etwa durch Verschlechterungen der Förderbedingungen. In einigen Fällen führt dies dazu, dass Träger ihre Angebote einschränken oder ganz einstellen müssen, was die Integrationsmöglichkeiten der Betroffenen in der entsprechenden Region verschlechtert. Fest steht: die Arbeit im Themenfeld Flucht und Migration ist komplex und anspruchsvoll. Deswegen setzt sich das DRK für verlässliche Rahmenbedingungen und ausreichende Ressourcen im Themenfeld Flucht und Migration ein.

Im Sinne der Menschlichkeit handeln

Was nun? Für uns im DRK ist es an diesem Punkt wichtig, sich an unsere Grundsätze zu erinnern, die die Basis unserer Arbeit sind. Ganz oben steht der Grundsatz der Menschlichkeit, der Humanität: Im Zeichen der Menschlichkeit setzt sich das DRK für das Leben, die Gesundheit, das Wohlergehen, den Schutz, das friedliche Zusammenleben und insbesondere die Würde aller Menschen ein. Für die Arbeit im Themenfeld Flucht und Migration bedeutet das, dass wir Menschen nicht danach bewerten, wo sie herkommen, welche Religion sie haben, warum sie nach Deutschland migriert sind. Wir unterstützen allein nach dem Maß der Not und helfen, wo Hilfe gebraucht wird. 

Aus diesem Grundsatz leiten wir unseren Auftrag und unsere Verantwortung ab, uns weiterhin – und jetzt erst recht – für geflüchtete und zugewanderte Menschen stark zu machen. Sei es vor Ort in der Migrationsberatungsstelle, in einer Unterkunft, im Kreisverband, im Landesverband und auf der Bundesebene im Generalsekretariat. Für uns ist Migration eine Realität, die es schon immer gegeben hat und die wir nicht primär als Problem begreifen. Zuwanderung beinhaltet Herausforderungen für den Einzelnen wie für die Gesellschaft und bringt Chancen, neue Perspektiven und Bereicherungen mit sich.  

Die DRK Migrationsstrategie

Um diesem Verständnis Rechnung zu tragen, hat das DRK 2023 eine umfassende Migrationsstrategie verabschiedet, die für den gesamten Verband und alle Ebenen handlungsleitend ist. Die Strategie legt ein gemeinsames Verständnis von Migration und Zuwanderung zu Grunde und zielt darauf ab, bedarfsgerechte Angebote aufrechtzuerhalten und weiterzuentwickeln sowie Migration als Querschnittsthema in allen Arbeitsbereichen zu verankern. Sie setzt darauf, Menschen in ihrer Vielfalt zu unterstützen und Migration nicht nur als Herausforderung, sondern auch als Chance für die Gesellschaft zu begreifen. 

Im Mittelpunkt stehen dabei die bedarfsgerechte Unterstützung, die Einbindung von Geflüchteten und Migrantinnen und Migranten in Entscheidungsprozesse, eine hohe Qualität der Arbeit und die Zusammenarbeit mit staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren. Die Strategie gibt einen Rahmen vor, wie das DRK auch in schwierigen Zeiten als Verband stark auftreten und sich effektiv im Sinne der Grundsätze für zugewanderte Menschen einsetzen kann - um Solidarität und Menschlichkeit sichtbar zu machen und ein respektvolles Miteinander zu fördern.

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